Benedikt Collinet studierte Katholische Theologie an der Universität Wien und verbrachte mit dem Mobility Fellowship einen Monat in Jerusalem, um dort eine Forschungsarbeit zu jüdischer und muslimischer Schriftauslegung und Religionsgeschichte zu verfassen. Im Blogbeitrag berichtet er über seine Erfahrungen.
Allein beim Klang des Namens werden Erinnerungen an den Duft orientalischer Gewürze, die Wärme der Wüste und die Größe der Geschichte wach. Jerusalem, die Stadt der monotheistischen Religionen, in einem Land, das drei Kontinente miteinander verbindet. Hier konnte ich eine der interessantesten und intensivsten Erfahrungen machen. Vom Forschen und Leben an diesem Ort will ich einen kurzen Einblick geben.
Man ist wesentlich sicherer, als die Medien suggerieren
Ich beginne mit dem Sicherheitsgefühl, um dieses Thema gleich abzuhaken. Israel ist eines der sichersten Länder der Welt und gehört für Tourist*innen zu den Orten mit den wenigsten Übergriffen und Diebstählen weltweit. Doch die größte Sorge haben die meisten Israelreisenden vor politischer Gewalt und Terror. Ein bekanntes Bonmot besagt, dass in Jerusalem „Too much history in too small space, too much religion and to small faith” zu finden sei. Dies hat einen gewissen Wahrheitsgehalt. In Jerusalem treffen nicht nur politische, sondern auch religiöse Konflikte aufeinander. Im angrenzenden Westjordanland, dem größten Teil des Autonomiegebietes, gibt es seit Jahren einen gut funktionierenden Waffenstillstand. Anders verhält es sich im Gazastreifen, wo der Konflikt täglich schwelt und Raketenbeschüsse an der Tagesordnung sind. Dort darf man aber sowieso nicht einreisen. Auch in Jerusalem kommt es alle paar Jahre zu Ausschreitungen. Tourist*innen und Zivilbevölkerung werden dabei nie (absichtlich) verletzt, Angriffe richten sich gegen Polizei und Militär. Diesen Schwierigkeiten kann man problemlos aus dem Weg gehen, da man sehr schnell spürt, ob die Altstadt gemieden werden sollte oder nicht.
Die Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit der Religion?
Auch dieses Thema ist eines, um das man in Jerusalem nur unter größter Anstrengung herumkommen kann – aber warum sollte man auch? Ich bin katholischer Theologe und Religionswissenschafter mit einem Schwerpunkt auf der Auslegung heiliger Texte. Als solcher ist Jerusalem für mich so etwas wie der Inbegriff textgewordener Geschichte. In Bibel und Koran spielt die Stadt eine zentrale Rolle, beteten die Muslime doch zuerst nach Jerusalem, ehe sie sich für Mekka entschieden. Der große Tempel von Jerusalem ist heute nur mehr durch die Klagemauer repräsentiert. Auf dem Haram al-Scharif befindet sich die Al-Aqsa Moschee und der wunderschöne Felsendom. Nur wenige Meter westlich erheben sich die beiden Kuppeln der Anastasis, der Auferstehungskirche, in welcher das leere Grab und der Ort der Kreuzigung Jesu Christi verehrt werden. Nirgendwo sonst auf der Welt hat man die Chance, so tiefe Einblicke in diese drei Religionen und ihre verschiedenen Ausprägungen zu haben. Von den nicht-praktizierenden Israelis bis zu den Ultraorthodoxen und den Hadschis, die ihre strahlend weißen Gewänder tragen, ist alles vertreten. Dadurch kommt man auch in den Genuss von koscherer und halal Küche, die eine eigene grandiose Küchenkultur hervorgebracht haben.
Kultur – Ausflüge – Forschung
Diese drei Begriffe können, müssen aber in Israel nicht getrennt werden. Als Theologe ist überall in Israel die Möglichkeit geboten, diese drei Dimensionen miteinander zu verbinden. Es gibt viele Diskursräume, Friedensinitiativen und Sehenswürdigkeiten – darunter über 100 archäologische Nationalparks und viele noch laufende Ausgrabungen. Die Hebrew University of Jerusalem (HUJI) ist als größte Universität des Landes breit aufgestellt und hat unter anderem vier der neun israelischen Ministerpräsidenten hervorgebracht sowie acht Nobelpreisträger*innen. Zu ihren Gründervätern zählen Albert Einstein und Martin Buber. Durch die Ressourcenknappheit in Israel spielen auch Fächer wie Biologie, Ernährungswissenschaften usw. eine große Rolle. Ob also Geistes-, Natur- oder Sozialwissenschaft, an der HUJI sind weltweit führende Expert*innen beschäftigt und sie pflegt einen regen Austausch über den ganzen Globus, weshalb Englisch als Sprache auch völlig ausreichend ist, um hierher zu kommen.
Mein Forschungsprojekt beschäftigte sich mit der Lokalisierung eines religiös verehrten Ortes in Judentum und Islam, dem Ort an dem Abraham/Ibrahim seinen Sohn opfern wollte. Dafür arbeitete ich nicht nur in den Bibliotheken und konnte auf archäologische Archivmaterialien zugreifen, sondern plante auch die Besuche entsprechender Orte ein, z.B. der Berg in Jerusalem, der Berg Garizim im Westjordanland, das Abrahamgrab in Hebron sowie einige Synagogenmosaike, die im ganzen Land verteilt sind. Auf diese Weise war es möglich, mir ein Bild von den Orten zu machen und Fotos in die Arbeit einfließen zu lassen, deren Urheber- und Nutzungsrechte bei mir verbleiben.
Ein typischer Tag im Leben eines Stipendiaten
Ich wohne in einem der deutschen Pilgerhäuser von Jerusalem, deren Preis-Leistungs-Verhältnis und Wifi unschlagbar sind. Ich wache relativ früh auf, obwohl ich die Muezzine vor Sonnenaufgang seit dem zweiten Tag nicht mehr in der Früh höre. Gegen 8.30 Uhr gehe ich entweder in die fünf Minuten entfernte École Biblique et Archéologique de Jerusalem oder in die HUJI. Dann gehe ich gleich in die Bibliothek und arbeite bis zum Mittag durch. Die Räume sind gut klimatisiert und Trinkwasser gibt es gratis.
Gegen Mittag esse ich dann auf dem Campus oder außerhalb der Altstadt, da hier das Essen billiger und typischer ist. Danach geht es dann bis zum Bibliotheksschluss, der zwischen 17.30-19.00 Uhr liegt, weiter mit der Arbeit. Freizeit ist an den Abenden und am Wochenende reichlich vorhanden und fast jeder Ort in Israel ist übers Wochenende besuchbar. Das Bad im Toten Meer ist dabei wohl ebenso obligatorisch, wie der frisch gepresste Granatapfelsaft und ein gutes Bier (Taybeh ist mein Favorit) in Kombination mit Falafel oder Petersfisch.
Jerusalem ist ein Höhepunkt für Kultur- und Geschichtsinteressierte, eine Freude für alle Sinne und ein Meilenstein in der Forschungs- und Karriereplanung. Nutzen Sie die Chance, die die Universität Wien Ihnen bietet!