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Live von der Nobelwoche in Stockholm am 15. Dezember 2022
ungefähr 7 Minuten
Kategorien: International
Themen: Nobelwoche

Live von der Nobelwoche in Stockholm

Picture of Anton Zeilinger receiving the golden Nobel medal from the King of Sweden
Anton Zeilinger bekommt das Diplom und den Nobelpreis vom König von Schweden überreicht. (c) Daniel Hinterramskogler

 

Als ich am frühen Nachmittag in Stockholm ankomme, geht die Sonne bereits unter. Kalte Luft bläst mir ins Gesicht und das einzige Wärmegefühl kommt von der Weihnachtsbeleuchtung, die an fast allen Gebäuden der Stadt funkelt. Es ist die Woche vor der Preisverleihung am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels – die „Nobelwoche“, eine Woche voller Ereignisse. Auf dem Weg zum Hotel, wo ich hoffe, mich aufzuwärmen, bemerke ich kleine Projektionen von Zitaten auf den Brücken und Häusern in der Altstadt.

„Und nun, mit mir gemeinsam, schließen Sie bitte Ihre Augen. Und stellen Sie sich die Welt vor, wie sie sein soll“

lautet eines davon – ein Zitat von Maria Ressa, der Gewinnerin des Friedensnobelpreises im letzten Jahr. Für einen kurzen Moment versuche ich es und schließe meine Augen, und als ich sie wieder öffne, fällt mein Blick auf ein Schauspiel von Lichtern, die über das Stadthus direkt vor mir tanzen. Die Kunstinstallation Nobel Week Lights hüllt die Gebäude in ganz Stockholm nachts in tanzende Lichter.

Im Hotel angekommen, werfe ich einen Blick auf das Programm der kommenden Tage. Es ist eine intensive Woche für die Preisträger*innen. Presseveranstaltungen, öffentliche Vorlesungen und sogar ein Empfang in der Österreichischen Botschaft Stockholm erwarten Professor Zeilinger vor der großen Preisverleihung am Ende der Woche. Und wir dürfen dabei sein.

Der erste Tag beginnt früh mit einer offiziellen Pressekonferenz für die Nobelpreisträger*innen in Physik und Chemie, sowie für die drei Preisträger in Wirtschaftswissenschaften. Vor der Royal Swedish Academy of Sciences, einem eleganten roten Backsteingebäude, flankieren kleine Flammen den Weg zum Eingang. Eindrucksvolle Kronleuchter erhellen das Innere des Gebäudes und die Wände zieren Portraits aller bisheriger Nobelpreisträger*innen. Ich erkenne den Raum wieder, in dem vor nur ein paar Monaten die Preisträger*innen verkündet wurden und es kommen Erinnerungen an einen Tag voller Stolz und Feierlaune an der Universität und am IQOQI Wien auf. Am langen Tisch auf der einen Seite des Raumes sitzt heute jedoch nicht das Nobelkomitee, sondern die neun Preisträger*innen.

„Wie lautet Ihre Prognose für die Quantentechnologie?,“ fragt ein Journalist die Physik-Preisträger und Professor Zeilinger erklärt, dass der Nutzen seiner Experimente für ihn völlig überraschend war. Auf der Suche nach Antworten auf grundlegende Fragen schien es lange keine praktische Anwendung für seine Forschung zu geben und er hätte vor 20 Jahren nicht den heutigen Stand der Quantentechnologie vorhersagen können. Und es ist gleichermaßen schwierig, vorherzusagen was in 20 Jahren sein wird. „Was man voraussagen kann,“ so Zeilinger „ist, dass meistens etwas dabei herauskommt, wenn genug ausreichend intelligente Menschen zusammenarbeiten. Dies vorausgeschickt, dürfen wir dennoch nicht vergessen, dass es eine Zukunft nach der gegenwärtigen Zukunft gibt. Es wird nötig sein, neue grundlegende Experimente und neue Ideen zu entwickeln, um spätere Anwendungsmöglichkeiten zu eröffnen.“

Während die Zukunft der Quantentechnologie im Mittelpunkt der Pressekonferenz stand, gibt der nächste Tag Aufschluss über ihre Vergangenheit. Hunderte Zuhörer*innen haben sich in der Aula Magna der Universität Stockholm versammelt, um die Nobelvorlesung in Physik zu hören. Die drei Physik-Preisträger führen das Publikum durch die grundlegenden Experimente, die sie letztendlich nach Stockholm geführt haben. Ihre Vorträge zeichnen den Weg von einer frühen Debatte über die Interpretation der Quantenphysik, angestoßen von niemand geringerem als Albert Einstein, hin zu einer bemerkenswerten Versuchsreihe, in der mit zunehmender Sicherheit nachgewiesen werden konnte, dass sich die Quantenmechanik selbst den Intuitionen der klügsten Köpfe entzieht. Beim gemeinsamen Foto der Nobelpreisträger am Ende des Vortrags bedankt sich das Publikum mit Standing Ovations – eine seltene Ehre für Physiker.

Interessiert am Nobelpreis-Vortrag von Anton Zeilinger? Am Mittwoch, 25. Jänner 2023, 18 Uhr, nimmt der Physik-Nobelpreisträger euch bei einem öffentlichen Vortrag im Audimax der Universität Wien mit auf eine Reise durch die „wunderbare Welt der Quanten“. Alle Infos gibt es hier.

Selfie of Anton Zeilinger and Viktoria Kabel
Selfie von Viktoria Kabel mit dem Nobelpreisträger Anton Zeilinger in der österreichischen Botschaft. (c) Viktoria Kabel

Nachdem die Nobelvorlesung geschafft ist, können die Feierlichkeiten beginnen. Den Anfang macht ein Empfang in der Österreichischen Botschaft. Die Österreichische Botschaft befindet sich in einem eleganten, aber nicht gerade markanten Gebäude, das vor allem mit seinen Innenräumen besticht. Wunderschöne rote Teppiche, schwere Vorhänge und mit Samt bezogene Stühle versetzen die Besucher*innen sofort zurück in alte Zeiten. Unter den Gästen befinden sich in Schweden lebende Österreicher*innen, angesehene Physiker*innen, Pressevertreter*innen und Angehörige der Botschaft. Eine bunte Mischung aus der viele interessante Gespräche entstehen. Als Professor Zeilinger eintrifft, verstummen die Gespräche und die Botschafterin stellt ihren Ehrengast vor. Darauf folgt eine kurze Ansprache des Nobelpreisträgers, in welcher er die Rolle der Wissenschaft als internationales Vorhaben beschreibt, das Brücken zwischen verschiedenen Ländern schlägt. Nach dem Applaus öffnet sich ein Vorhang und enthüllt einen perfekt gedeckten Tisch mit Kaffee und österreichischen und schwedischen Naschereien. Die Atmosphäre ist entspannt und ich schaffe es sogar, ein Selfie mit dem Nobelpreisträger zu machen.

 

Die Atmosphäre bei der offiziellen Preisverleihung am nächsten Tag könnte nicht konträrer sein. Alles ist minutiös geplant und der Einlass ins Konserthuset, wo die Verleihung stattfindet, ist stark beschränkt. Die Journalist*innen und ich erhaschen in der Hotellobby einen kurzen Blick auf die Preisträger*innen mit ihren weißen Fliegen, bevor sie in Autos zur Verleihung gebracht werden. Auch wenn gewöhnliche PhD-Studierende wie ich nicht an der Zeremonie teilnehmen dürfen, folge ich den Preisträger*innen, um das Spektakel zumindest von außen zu beobachten. Die Straßen rund um das Konserthuset sind gesperrt und eine Menschenmenge hat sich um die blaue Konzerthalle herum versammelt. Die Fotograf*innen haben ihre Kameras mit gigantischen Objektiven vor dem Gebäude positioniert, um die Preisträger*innen vor dem Konzerthaus zu fotografieren. Sobald die Preisträger*innen im Gebäude verschwunden sind, mache ich es mir im nächstgelegenen Kaffeehaus gemütlich, um dort den Livestream von der Preisverleihung zu verfolgen. Als die Preisträger*innen die Bühne betreten, bin ich paradoxerweise viel näher an der Verleihung dran, gleichzeitig aber genau so weit weg wie die vielen Zuseher*innen in aller Welt. Der Physik-Nobelpreis wird traditionellerweise als erstes vergeben; im heurigen Jahr ergeht er „für grundlegende Experimente zur Quanten-Verschränkung und den Nachweis des Verstoßes gegen die Bellschen Ungleichungen, und für bahnbrechende Forschung im Bereich der Quanteninformation.“ In Bezug auf die Experimente von Professor Zeilinger und seinen Kooperationspartner*innen merkt der Redner an, dass

             „sie einen maßgeblichen Beitrag geleistet haben, indem sie gezeigt haben, wie das schwer fassbare Konzept der Quantenverschränkung nützlich sein kann. Das war ein gigantischer Sprung von Zeilingers österreichischem Vorgänger Schrödinger und es ist erstaunlich, wie der Kreis in Österreich begann und sich auch dort wieder schließt.“      

Die Physik-Preisträger treten nacheinander nach vorne. Begleitet vom Applaus von mehr als tausend Gästen und einer Fanfare vom Orchester nehmen Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger ihre Urkunden und die goldene Nobelpreismedaille vom König von Schweden entgegen.

Picture of Anton Zeilinger with Alain Aspect and John Clauser
Die drei Nobelpreisgewinner (c) Daniel Hinterramskogler

Dieser eindrucksvolle Moment stellt den Höhepunkt in der Karriere von Professor Zeilinger und das Ende der Nobelwoche in Stockholm dar. Auf dem Rückweg zu meinem Hotel komme ich noch einmal am Stadthus vorbei, das auch heute wieder in prächtigen Farben erstrahlt. Im Stadthus versammeln sich vermutlich gerade die Preisträger*innen und mehr als tausend sorgfältig ausgewählte Gäste zum Nobelbankett, um einen Tag zu Ehren großartiger persönlicher und wissenschaftlicher Leistungen zu feiern.



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