Spanien und Portugal — zwei Länder, die vor allem als Urlaubsziele bekannt sind, aber auch eine reiche archäologische Vergangenheit aufweisen. Diese Vergangenheit steht im Mittelpunkt des internationalen Forschungsprojektes „Mirobriga — Regina Turdulorum: Stadt und Land im römischen Westen“, das vom Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien in Kooperation mit dem Vorgeschichtlichen Seminar der Philipps-Universität Marburg, der Universidad de Cantabria, der Universidade Nova de Lisboa und den lokalen Antikenbehörden durchgeführt wird. Autor*innen Ines Guth, Julia Misek, Marie-Therese Schmid und Günther Schörner berichten.
Im Fokus der Kampagne stand Regina Turdulorum. Diese antike Stadt liegt im südwestlichen Spanien, in der Nähe von Casas de Reina (Provinz Extremadura). Die insgesamt 19 Studierenden der Universität Wien waren im dortigen Grabungshaus, der Albergue, untergebracht. Während ein Teil der Gruppe drei Wochen lang in Regina Grabungen durchführte, erforschten die übrigen Studierenden neben ihrer Tätigkeit in Spanien auch das Umland von Mirobriga. Drei Tage wurden hier damit verbracht, neue Fundstellen – darunter eine Anlage zur landwirtschaftlichen Produktion (villa rustica) – zu erkunden.
Was bedeutet „römisch“ für Stadt und Land?
Was bedeutet „römisch“ für Stadt und Land?
Das vom FWF geförderte Projekt beschäftigt sich nicht nur mit den Fundstätten, sondern ist auf ein grundlegendes Forschungsdesiderat fokussiert: Wie sah das Leben auf dem Land im Umkreis der römischen Städte aus? Und wie erfolgte ein Austausch zwischen Stadt und Land?
Ziel des Projektes ist es, anhand der zwei ausgewählten Modellregionen den Diskurs über die Besiedelung der römischen Zentren auf das Umland auszuweiten. Die in der Forschung lange Zeit akzeptierte Meinung, dass zwischen der römisch geprägten Stadt und dem von regionalen Kulturen geprägten Umland eine schwer überwindbare Dichotomie besteht, soll durch die Ergebnisse der Untersuchungen hinterfragt werden. Stadt und Umland befinden sich vielmehr in einer symbiotischen Beziehung, die mehr Beachtung verdient. Am Ende der Laufzeit, die noch bis 2024 angesetzt ist, soll es möglich sein, die Besiedlungsmuster in den Aktionsräumen miteinander zu vergleichen und Modelle für die Interaktion zwischen Stadt und Land aufzustellen. Das Projekt reiht sich somit in die aktuellsten Fragestellungen der Landschaftsarchäologie ein.
Die ausgewählten römischen Fallbeispiele Mirobriga und Regina Turdulorum sind dabei für die Fragestellungen des Projekts besonders geeignet. Beide Orte etablierten sich im 1. Jh. n. Chr. als regionale Zentren römischer Verwaltung. Dementsprechend teilen sie viele Gemeinsamkeiten: Tempel, Thermen und weitere öffentliche Gebäude prägten das reich ausgestattete Zentrum; das weitläufige Umland diente der intensiven Agrarproduktion. Außerdem bieten sowohl die Topographie als auch die moderne landwirtschaftliche Nutzung des Umlandes sehr gute Bedingungen für großflächige Untersuchungen mit landschaftsarchäologischen Methoden.
Im Bereich von Regina Turdulorum sind durch Lokalforscher mehrere Stätten bekannt, die in Zusammenhang mit römischer Wirtschaft stehen. Diese Orte mussten zuerst mithilfe alter Koordinatensätze grob lokalisiert und dann wiedergefunden und neu eingemessen werden. Diese neuen Datensätze wurden abgeglichen und zur Auswertung nach den Maßstäben der modernen Landschaftsarchäologie zusammengetragen. Ein entscheidender Schritt war, dass bei unserer Kampagne erstmals auch analysierbare Funde aus dem Bereich der Minen gesammelt wurden, darunter Keramik, aber auch Gesteinsproben.
Fundstätten auf der Spur
Um neue Fundstätten greifbar zu machen, kommt ein vielfältiges Methodenspektrum zum Einsatz: geophysikalische Prospektion, Survey und Grabung. Für den Survey und die Grabung waren die Wiener Archäolog*innen unter Leitung von Prof. Günther Schörner zuständig. Die geophysikalische Prospektion verwendet Geomagnetik, Geoelektrik und Bodenradar, um mögliche unterirdische Strukturen ausfindig zu machen und zu kartieren.
Bei der Geomagnetik wird die Magnetisierung der unterirdischen Erdschichten gemessen. Ausschlaggebend für die Messung ist der magnetische Kontrast zwischen den Strukturen und deren Umgebung. Mit dieser Methode können z.B. Feuerstellen, Pfostenlöcher, Gruben und sogar Ziegelsteine und Keramik gefunden werden. Hier kommt dann das Boden-/Georadar zum Einsatz. Beim Georadar werden elektromagnetische Wellen in den Untergrund gesandt, um Strukturen anhand des elektromagnetischen Kontrasts und der unterschiedlichen Dichten im Vergleich zum Untergrund nachzuweisen. Hierdurch können mitunter ganze Gebäudegrundrisse gemessen werden.
Als dritte Methode wird die Geoelektrik verwendet. Bei dieser werden die elektrischen Spannungen und Stromstärken gemessen. In Gebieten, in denen die Geomagnetik wegen Störungen oder zu wenig Kontrast zwischen Strukturen und Umgebung nicht aussagekräftige Daten erbringen kann, ist die Geoelektrik imstande, ein Bild vom Untergrund zu schaffen.
Bei einem Projekt, das sich mit ländlicher Besiedlung und Landnutzung in römischer Zeit beschäftigt, ist „remote sensing“ eine weitere wichtige Methode. Gemeint ist damit vor allem die Verwendung von Luftbildern, um Informationen über Feldeinteilung, Bodengestalt, Bewuchsarten und Ähnliches zu erhalten. Eingesetzt werden auch UAVs (unmanned aerial vehicles) bzw. Drohnen, die dazu dienen, exakte Fotos sowie dreidimensionale Modelle von Grabungsschnitten zu erstellen. Wichtig sind auch Fotos, die aus größerer Höhe aufgenommen werden und Geländemodelle, die durch LiDAR (Light detection and ranging) erstellt werden. Sie erlauben es Unregelmäßigkeiten im Gelände festzustellen, die auf potentielle antike Fundstätten hinweisen.#
Neben diesen Prospektionsmethoden gibt es auch eine spezifisch archäologische non-invasive Methode: den Survey. Bei einem Survey werden anhand einer geregelten Feldbegehung Oberflächenfunde gesammelt und dokumentiert. In Spanien wurden mit dieser Methode mehr als 350.000 m² Fläche abgedeckt.
Somit konnte ein großflächiges Bild der Fundverteilung auf dem bearbeiteten Gebiet gewonnen werden. Im Speziellen können hohe Konzentrationen von Funden aber auch auf unterirdische Strukturen verweisen. In Verbindung mit den geophysikalischen Daten können dadurch ohne Ausgrabung relativ detaillierte Informationen über Ausdehnung, Gestalt bzw. Grundriss und chronologische Einordnung einer archäologischen Fundstelle gewonnen werden. Trotzdem bleibt eine Ausgrabung für die Datierung unersetzlich, da nur hier die genaue Schichtung (Stratigraphie) der Funde und Befunde eruiert werden kann. Deshalb fand im Zuge des Projekts auch eine Lehrgrabung unter der örtlichen Leitung von Dr. Víctor Martínez Hahnmüller (Wien) statt. Es wurden zwei Schnitte angelegt, um Befunde, welche durch die Geophysik nachgewiesen waren, genauer zu untersuchen. Neben den freigelegten Mauern wurden noch viele weitere interessante Funde geborgen. Mehr Informationen dazu sind im Beitrag auf der Institutswebsite der Klassischen Archäologie zu finden.
Stadt, Land, Produktion – eine Auswertung des materiellen Befunds
Die Analyse der Funde und die Auswertung der Ergebnisse von Geophysik, Grabung und Survey stehen erst am Anfang und werden uns in den nächsten Monaten noch intensiv beschäftigen. Das archäobotanische Team der Università degli Studi di Modena e Reggio Emilia wird im kommenden Jahr die bei der Ausgrabung entnommenen Bodenproben auf Pollen untersuchen, um ein besseres Bild der
Flora im Umkreis des antiken Regina Turdulorum zu gewinnen. Weiters erfolgt eine archäozoologische Untersuchung der gefundenen Tierknochen, um genauere Aussagen zur Viehzucht im antiken Regina treffen zu können. Die aus den Minenschächten entnommenen Gesteinsproben wurden bereits an der Universität Salzburg auf ihre chemische Zusammensetzung untersucht. Unter anderem konnte Pseudomalachit identifiziert werden, ein Gestein, das mit nur 370 Fundstellen weltweit sehr selten ist, und Kupferabbau belegt. Die Gewinnung von Metall kann für die Region somit als gesichert gelten.
Auch die Funde der Grabung werden sorgfältig nachbearbeitet. Schon die ersten Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass es sich bei den beiden ausschnittsweise ergrabenen Strukturen um Bauten aus dem
Kontext des städtischen Alltagslebens handelte: Entdeckt wurden die Reste eines urbanen Wohnhauses (domus) mit farbigem Wandverputz und eines langgestreckten Gebäudes am Stadtrand.
Charakteristisch für den Norden und Osten im Umland von Regina Turdulorum war eine lockere Nutzung mit relativ kleinen Gebäuden. Es dürfte sich um kleine Bauernhöfe handeln, die von einer intensiv
genutzten, wohl gartenähnlichen Zone, umgeben waren. Im weiteren Umkreis befanden sich Getreidefelder oder auch Weiden für die Viehzucht. Schuppen, Unterstände oder andere Kleingebäude dürften den Eindruck ausgedehnter landwirtschaftlicher Nutzung noch vertieft haben. Das römische Landschaftsbild muss sich somit deutlich vom modernen unterschieden haben, das durch riesige Getreidefelder und ein paar in den letzten Jahren angelegte Olivenhaine geprägt ist. Im Unterschied zur heutigen Situation ist auch von Weinanbau in römischer Zeit auszugehen, was eine große römische Weinpresse in der Nähe von Regina Turdulorum nahelegt.
Neue Erkenntnisse – neue Herausforderungen
Installierte PluginsDurch Grabung, Survey und geophysikalische Prospektion können im Rahmen des Projekts richtungsweisende neue Einblicke in die Nutzung von Stadt und Umland als Siedlungsräume in der römischen Provinz geboten werden. Schon jetzt deuten die Zwischenergebnisse in eine vielversprechende Richtung: Das althergebrachte Bild von einem wenig besiedelten Umland, das kaum von römischem Einfluss geprägt war und unabhängig neben der Stadt existierte, ist in dieser Form nicht zutreffend. Vielmehr lassen sich auch im Bereich um die Städte Bauten und Häufungen römischer Gebrauchsgegenstände feststellen. Stadt und Land waren sicher viel enger miteinander verbunden als bisher angenommen.
Auch im nächsten Jahr wird weiter geforscht werden. Die Auswertung der zahlreichen Funde, vor allem von Keramik, aber auch weitere Feldforschungen sollen die Ergebnisse der ersten beiden Kampagnen in einen größeren Kontext einbetten und weitere Aussagen zur Beziehung der Aktionsräume ermöglichen.