Jan Steger ist Doktorand am Institut für Paläontologie der Universität Wien und forscht derzeit im FWF-Projekt „Historical ecology of Lessepsian Migration“. Im Blog berichtet er über seine Forschungsreise zu den Malediven:
Traumhaftes Reiseziel und Hotspot für Taucher – die Inselkette der Malediven im Indischen Ozean ist für die meisten ein Inbegriff für Sonne, Strand und Meer. Die Korallenriffe im sonnendurchfluteten Flachwasser sind nicht nur Touristenmagnet, sondern beherbergen auch eine artenreiche und erstaunlich wenig erforschte Lebensgemeinschaft.
Die Vielfalt wichtiger Tiergruppen im Riff – Korallen, Fische, Mollusken und Stachelhäuter – zu erkunden, war der Hauptfokus des Projektpraktikums „Freilandübungen in rezenten und fossilen Korallenriffen“ der Universität Wien, an welchem ich im Herbst 2014 teilnehmen konnte. Die Lehrveranstaltung fand im besagten Jahr erstmals an der damals kürzlich eröffneten Korallion Lab Feldstation auf der Malediven-Insel Vavvaru im Lhaviyani-Atoll statt.
Wunderschön und kaum erforscht
Nicht nur für die Studierenden, sondern auch die Lehrenden waren die Malediven etwas völlig Neues, keiner hatte eine Vorstellung, was vor Ort zu erwarten war – vor allem auch in biologischer Hinsicht. Eine Literaturrecherche ergab, dass wir damit in guter Gesellschaft waren – es existiert nur vergleichsweise wenig Fachliteratur über die lokale Fauna, und viele der sporadisch erschienenen Arbeiten sind bereits etliche Jahrzehnte alt. Dies machte den Aufenthalt natürlich umso interessanter!
Während Taucher*innen die bunte Vielfalt an Korallen und Fischen bewundern, entfällt der Großteil der Artenvielfalt in Korallenriffen auf kleinere Organismen. Diese leben häufig für die meisten Leute unsichtbar in Spalten und Höhlen des Riffs, oder verschmelzen durch ihre gute Tarnung nahezu perfekt mit dem Untergrund. Umso mehr mag es erstaunen, dass das Bestehen des Riffs in hohem Maße von gerade diesen unscheinbaren Bewohnern abhängt.
Eine der Tiergruppen, welche eine besonders wichtige und vielseitige Rolle im Ökosystem Korallenriff spielen, und denen seit Jahren mein persönliches Hauptinteresse gilt, sind Weichtiere – wissenschaftlich Mollusken -, zu denen unter anderem Muscheln, Schnecken und Tintenfische gehören.
Zu dieser Zeit war mir allerdings nicht klar, dass die im Rahmen der Lehrveranstaltung von uns gewonnenen Daten so eindrucksvoll die Vielfalt der lokalen Weichtierfauna belegen würden, dass sie das Potenzial für eine wissenschaftliche Publikation hatten. Aus diesem Grund beschloss ich, die gesammelten Erkenntnisse gemeinsam mit Kolleg*innen des Instituts für Paläontologie und des Departments für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Uni Wien zu veröffentlichen. Im Jänner dieses Jahres war es schließlich so weit: die Arbeit ist in den Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Serie B* erschienen.
Doch warum sollte man sich überhaupt für Weichtiere interessieren?
Es ist schwer zu glauben, doch die Verwandtschaft der allseits unbeliebten Salatvertilger aus dem heimischen Garten ist ein tragender Pfeiler im ökologischen Gefüge von Korallenriffen, welche selbst wiederum direkt und indirekt wichtige Funktionen für den Menschen erfüllen: neben ihrer offensichtlichen Schönheit und dem Erholungswert intakter Naturlandschaften schützen Korallenriffe die Inseln vor den Gewalten des Meeres, bieten Nahrung, erhalten die Artenvielfalt und beherbergen einen großen und weitgehend unbekannten Fundus an pharmazeutisch wirksamen Substanzen.
Und dennoch: wenn man an Mollusken denkt, denkt man unweigerlich an langsame, schleimige und ziemlich langweilige Tiere. Doch der Schein trügt – unter den unzähligen Arten, die tropische Riffe bewohnen, findet sich eine Vielzahl an Spezialisten. Dies zeigt sich unter anderem im breiten Spektrum unterschiedlicher Ernährungsweisen. Neben harmlosen „Vegetariern“ gibt es aktive Räuber wie die Kegelschnecken (Familie Conidae), die ihre Beute, etwa Borstenwürmer oder Fische, mit Giftharpunen erlegen und im Ganzen verschlingen. Die Stiche mancher Arten sind sogar für den Menschen tödlich. Es gibt hochspezialisierte Parasiten, von denen manche (Familie Colubrariidae) sogar Blut von riffbewohnenden Fischen saugen. Riesenmuscheln (Unterfamilie Tridacninae) betätigen sich als „Gärtner“, die ähnlich wie viele Korallen in Symbiose mit einzelligen photosynthetisch aktiven Algen leben. Vertreter der Wurmschnecken (Familie Vermetidae) leben festzementiert auf Hartsubtraten und fangen schwebende Nahrungspartikel mit klebrigen Schleimnetzen, welche von Zeit zu Zeit eingeholt, und mitsamt der anhaftenden Nahrung vertilgt werden. All diese Gruppen haben wir auch auf der wenige hundert Meter langen Insel Vavvaru gefunden. Und die Liste ließe sich noch lange fortsetzen…
Es lohnt sich, genau hinzusehen!
Um diese Vielfalt zu entdecken, muss man natürlich genau hinsehen und sich ins Wasser begeben, oder besser: ganz untertauchen! Mit großem Eifer haben meine Kolleg*innen und ich daher die verschiedenen Großlebensräume um Vavvaru – die Lagune, das Riffdach und den nahezu senkrecht hunderte Meter in die Tiefe abfallenden Riffabhang – schnorchelnd und tauchend untersucht. Die gefundenen Arten wurden dokumentiert und katalogisiert. Eine genauere Bestimmung der Mollusken erfolgte dann im Nasslabor der Feldstation, wo auch Becken mit fließendem Meerwasser zur Verfügung standen.
Dies alles war nur durch die großartige Unterstützung seitens des äußerst gastfreundlichen Stationspersonals möglich. Dieses stellte uns neben köstlichem Essen auch ein kleines Motorboot zur Verfügung, mit dem die Taucher*innen selbst die Kante des Steilhangs in einigen hundert Metern Entfernung vom Strand relativ leicht erreichen konnten.
Alles in allem, und ergänzt durch Schalenfunde am Strand, konnten so innerhalb von zwei Wochen nahezu 260 größere (d.h. > 1 cm) Weichtierarten (Schnecken, Muscheln und Tintenfische) im Flachwasser nachgewiesen werden.
Und es gibt noch viel mehr zu entdecken…
Trotz der beeindruckenden Artenzahl in Relation zur Größe der Insel ist dieses Ergebnis nur der erste Schritt in Richtung eines umfassenderen Arteninventars. Denn manchmal reicht selbst der Einsatz der ambitioniertesten Schnorchler und Taucher vor Ort nicht aus: dann nämlich, wenn es darum geht, auch die kleinsten Arten zu erfassen, zu denen ein Großteil des Artenspektrums gehört. Um die Winzlinge unter den Mollusken zu finden – manche Arten sind ausgewachsen nicht einmal einen Millimeter groß – ist es nötig, Sand und Schlamm aus Ritzen und Spalten des Riffs zu sammeln und geduldig kleinste Schalen unter dem Mikroskop auszulesen. Dies ist eine sehr zeitintensive Arbeit, und kann daher nicht vor Ort erfolgen. Doch es lohnt sich – der Blick durchs Binokular offenbart die formen- und farbenreiche Welt der Mikromollusken, die mindestens so spannend ist, wie die ihrer großen, bunten Verwandten. Allerdings ist sie viel weniger erforscht, und oft stößt man gerade in den Tropen sogar heute noch auf bislang unbekannte Arten.
Auch auf Vavvaru wurden im Rahmen des Projektpraktikums Sedimentproben aus verschiedensten Mikrohabitaten und Tiefen zusammengetragen, die ich momentan am Institut für Paläontologie untersuche. Langfristiges Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit Experten für verschiedene Molluskenfamilien auch eine Abhandlung über die riffassoziierten Kleinstmollusken der Insel zu verfassen. Die Durchsicht der ersten Proben ist vielversprechend. Es bleibt also spannend, und auch zweieinhalb Jahre nach der Reise zu den Malediven gibt es – mitten in Wien – noch viel Neues zu entdecken.
Forschung hilft, das Riff zu schützen
Die gewonnenen Informationen helfen, das Korallenriff und seine Organismengemeinschaft besser zu verstehen. Denn die Kenntnis der lokalen Tierwelt ist eine unverzichtbare Grundvoraussetzung, um ein Bewusstsein für das Ökosystem Korallenriff zu schaffen, und dieses auf lange Sicht bewahren zu können. Wie immer gilt auch hier: nur was man kennt, kann man auch schützen.
* Steger, J., Jambura, P., Mähnert, B. & M. Zuschin (2017): Diversity, size frequency distribution and trophic structure of the macromollusc fauna of Vavvaru Island (Faadhippolhu Atoll, northern Maldives). — Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien – Serie B (Botanik und Zoologie) 119: 17-54.