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home-teaching diaries #1: Gedanken eines Lehrenden am 1. April 2020
ungefähr 5 Minuten
Kategorien: Studium
Themen: Lehre

home-teaching diaries #1: Gedanken eines Lehrenden

Seine Gastprofessur an der Universität Wien hatte sich Philipp Langer eigentlich anders vorgestellt. Nach einer Woche am Institut für Bildungswissenschaft wurde der Lehrbetrieb auf digital umgestellt. Was ihm seitdem durch den Kopf geht, hält er in Tagebuchform fest.

Wien, 14. April 2020: Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt, als ich Anfang März für ein Jahr als Gastprofessor für Sozialpädagogik ans Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien gekommen bin. Ein lustvolles Sommersemester sollte es werden, im intensiven Austausch mit spannenden Kolleg*innen und engagierten Studierenden. Die erste Semesterwoche war dafür schon recht vielversprechend. Danach jedoch ging es sehr schnell mit der Umstellung des Lehrbetriebes auf digital, zunächst noch aus dem Büro, dann von zu Hause: Einarbeitung in die vorhandenen Tools, Aneignung notwendiger Software- und Medienkompetenzen, Anpassung der didaktischen Konzepte – und los. Ganz unvorbereitet war ich nicht, hatte ich doch vor einigen Jahren hochschuldidaktische Fortbildungen absolviert, in denen es etwa um die Nutzung von Podcasts in der Lehre ging, und schon mal – eher unsystematisch – ein paar e-learning-Elemente in meine bisherige Präsenzlehre integriert. Technik- und medienavers bin ich eigentlich auch nicht. Und dennoch empfand ich das, was eine Kollegin als „steile Lernkurve“ bezeichnete, mitunter als eine Art Achterbahn.

Einerseits war ich durchaus produktiv: Ich nahm etwa Podcasts auf, in denen ich unter Verweis auf Präsentationen, die ich hochgeladen hatte, kürzere Einführungen in Themen und Texte angeboten und die Studierenden gebeten habe, eine Zusammenfassung des Textes mit kritischer Reflexion und eigenen Gedanken auf einem Diskussionsforum zu posten und die Überlegungen anderer zu kommentieren, zu ergänzen, weiterzuführen. Das hat in den meisten Kursen auch richtig gut geklappt und es sind beindruckend vernetzte Diskussionszusammenhänge entstanden, die in einer Seminarsituation, in der die Zeit für individuelles Nachdenken und reflektiertes Argumentieren begrenzter ist, nur selten sichtbar werden. Andererseits empfand ich das teilweise als unbefriedigend. Nicht nur habe ich gemerkt, dass ich nicht so der Podcast-Typ bin, der allein vor dem Rechner in eben diesen spricht. Deshalb bin ich dazu übergegangen, diese Podcasts eher im Interviewformat zu gestalten, also mit Kolleg*innen  – auch anderer Universitäten und in anderen Ländern – in einem Video-Meeting über das sitzungsspezifische Thema sprechen, das Gespräch über ein anderes Programm aufzunehmen, die Aufnahme etwas zu bearbeiten und dann hochladen. Deutlich wurde zudem, dass dieses Format für praxisbezogene Lehre – etwa der Vermittlung von Forschungsmethodenkompetenzen oder der Reflexion über Praktikumserfahrungen – schnell an eine Grenze kam. Auch die direkte Interaktion mit den Studierenden fehlte mir.

In dieser Situation war ich dankbar über das virtuelle Forum des Instituts für Bildungswissenschaft zum kollegialen Austausch der unter Bedingungen des Shutdowns und des Imperativs sozialer Distanzierung gemachten Lehrerfahrungen. Sehr positive Erfahrungen wurden im Umgang mit Zoom vermittelt, einem Videokonferenztool, dessen Name ich vorher noch nie gehört habe (aber deren Aktie ich da wohl hätte kaufen sollen, einen solchen Kursanstieg wie in den letzten Wochen gibt es nur selten). Von den teilweise enthusiastischen Berichten der Kolleg*innen ermutigt (wenn das jetzt alle so toll machen, muss ich das doch auch können wollen), kaufte ich mir eine Lizenz (wenn schon, dann richtig), schaute mir ein paar Youtube-Einfürungen dazu an (das muss als Ersatz einer sonst ja eher eintägigen hochschuldidaktischen Fortbildung dazu gerade langen) und gab zusätzlich zu den bisherigen Lehrformaten kürzere Vorlesungen über Zoom, von denen ich einige recht gelungen fand und mich über die positive Resonanz der Studierenden gefreut habe, andere eher schräg. Vielleicht bin ich einfach auch kein Zoom-Typ? (Anm. d. Red.: Der Zentrale Informatikdienst (ZID) der Universität Wien stellt eine Reihe an Videokonferenz- und Teamchatsystemen zur Verfügung. Die Nutzung des Videokonferenzsystems ZOOM wird nicht empfohlen.)

Und dann ist da noch die Frage, ob das nicht auch alles too much ist, nicht nur für mich mit dem kommunikativen e-learning-Overkill der letzten Wochen, sondern auch für viele Studierenden, für die die universitäre Lehre gerade nicht das Wichtigste im Leben sein könnte angesichts von Ängsten bzgl. ihrer Gesundheit oder der Gesundheit der Menschen, die ihnen nah sind, angesichts des Wegfalls von lebensnotwendigen Einkünften, angesichts des Sorgens um andere in ihrem sozialen Umfeld. Haben wir als Lehrende über die Aufgabe, gute Lehre machen, nicht auch eine gesellschaftliche Verantwortung – oder zumindest eine Chance, unseren Studierenden in dieser schwierigen, für viele verstörenden, vielleicht auch existentiell verängstigenden Situation zur Seite zu stehen? Bieten die e-learning-Tools nicht gerade dafür auch eine Möglichkeit, mit den Studierenden über das, was gerade passiert, da draußen in der Welt und hier drinnen in uns, ins Gespräch zu kommen, einen Artikulations- und Reflexionsraum für ihre und unsere Erfahrungen zu eröffnen?

Philipp Langer
Philipp Langer (© IPU Berlin / Fabian Eggert)

Phil C. Langer ist seit März 2020 als Gastprofessor für Sozialpädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien tätig. An der International Psychoanalytic University Berlin hat er eine Professur für Sozialpsychologie und Sozialpsychiatrie inne. Er forscht u.a. zu Erfahrungen von Gewalt in Konflikt- und Kriegskontexten sowie zu psychosozialen Folgen von Migration und Flucht. Seit der Corona-Krise schreibt er seine Gedanken in Tagebuchform auf, zur Langversion geht es hier (PDF).



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