Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es unter anderem um sexuelle Gewalt und Krieg.
„Ich wollte schon lange Historikerin werden. Als Kind hatte ich vage Träume vom Herumstöbern in Ritterburgen oder sah mich als Protagonistin von abenteuerlichen Dokumentationsfilmen. Heute verbringe ich die meiste Zeit an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und durchsuche bei künstlichem Licht schlechte Fotoscans auf Vergewaltigungsberichte. Im Vergleich zu dem, was meine ehemaligen Studienkolleg*innen machen, wirkt es oft wie ein komischer Beruf. Ich analysiere in meiner Dissertation das Völkerrecht des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf sexuelle Kriegsgewalt. Gab es in Kriegen ein Vergewaltigungsverbot und wurden Täter sanktioniert? Welche Handlungen waren verboten und wie mussten sich Opfer verhalten, um als solche zu gelten? Inwiefern spielte es eine Rolle, ob Täter und Opfer aus Europa oder aus als uncivilisiert geltenden Kolonialgebieten kamen? Als ich mein Projekt begann, hatte ich noch keine Vorstellungen davon, wie sehr die Arbeit auch emotional belastend sein kann. Seite für Seite lese ich grausame Berichte über die Vergewaltigung von Kriegsopfern, die für Propaganda oder zur Skandalisierung genutzt wurden. Ich stoße in diplomatischen Quellen, völkerrechtswissenschaftlichen Texten oder Zeitungsberichten auf Informationen, mit denen ich nie gerechnet hätte, und die meinen Blick auf die Vergangenheit und oft auf die Gegenwart ändern. Wenn beispielsweise Autoren im 16. Jahrhundert über die Vergewaltigung von Männern schreiben, was dann anscheinend für Jahrhunderte von Völkerrechtsgelehrten nicht erwähnt wird, oder wenn im 19. Jahrhundert in Debatten über Vergewaltigungen durch muslimische Männer die gleichen Stereotype vorgebracht werden wie nach der „Kölner Silvesternacht“. Das Thema interessiert mich nicht nur, es macht mich oft auch wütend und ist in meinen Augen wichtig, da die Parallelen zwischen historischem und gegenwärtigem rechtlichem Umgang mit sexueller Kriegsgewalt häufig offensichtlich scheinen, jedoch nie genau untersucht wurden. Die Beschäftigung mit der Geschichte des Völkerrechts gibt uns nicht nur Aufschluss über die Vergangenheit, sondern allgemein über das Verhältnis von Recht, Politik und Zivilgesellschaft.“ – Anastasia Hammerschmied
Anastasia ist Doktorandin der Vienna Doctoral School Ars Iuris.
„Sexualisierte Gewalt an den EU-Außengrenzen. Ein EU-Deal und seine Verliererinnen“, in: Juridikum 02/2021, mit Amelie Herzog, pp 276-279.