„Bei einer Unterhaltung mit meinem jüngeren Ich würde meine Studienwahl wohl Unverständnis hervorrufen. Mein Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen geht nicht auf die Schulzeit zurück, dort hat die Wirtschaftskunde eine eher „stiefmütterliche“ Behandlung erfahren. Auch dass es sich bei der Volkswirtschaftslehre – zumindest im deutschsprachigen Verständnis – um eine Sozialwissenschaft handelt, würde mein jüngeres Ich nicht überzeugen.
Zur VWL habe ich im ersten Jahr eines anderen sozialwissenschaftlichen Studiums gefunden, im Rahmen dessen ich Einblicke in unterschiedliche Disziplinen bekommen habe. Und egal, ob es dabei um Konflikte innerhalb unterschiedlicher indigener Gesellschaften (Kultur- und Sozialanthropologie), die Emanzipation des Bürgertums und die Entstehung moderner staatlicher Strukturen (Politikwissenschaft) oder die Zusammenhänge zwischen Publikum und Werbung (Publizistik- und Kommunikationswissenschaft) ging: Bei den Themen, die mein Interesse geweckt haben, wurde immer wieder auf ökonomische Gründe und die VWL verwiesen.
Zu Beginn des VWL-Studiums kommen solche Fragen eher kurz. Erste Höhepunkte waren Spieltheorie- und vertiefende Makroökonomie-Kurse, die so manchen Erklärungsansatz lieferten, aber vor allem weitere Fragen aufwarfen. Wirklich gefesselt hat mich der Einblick in moderne, empirische Methoden und die sogenannte kausale Inferenz – der Versuch, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und deren Effektgröße mittels Beobachtungsdaten zu erforschen. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften kann in den Sozialwissenschaften in den seltensten Fällen eine einzelne Größe verändert und währenddessen alle anderen konstant gehalten werden. Wird das nicht berücksichtigt, ist der Effekt in einer „naiven“ Messung sehr schnell dem eigentlichen kausalen Effekt entgegensetzt. Mit cleveren Studiendesigns, für die vor allem institutionelles Wissen notwendig ist, lässt sich der kausale Effekt aber in bestimmten Situationen identifizieren.
Die kausale Inferenz ist natürlich nicht nur in der VWL Thema, sondern auch in allen anderen Sozialwissenschaften (und z.B. auch in der, während der Pandemie breiter bekannt gewordenen, Epidemiologie). In der VWL hat der Fokus auf die kausale Inferenz seit den späten 80ern zu einer gewissen Entdogmatisierung geführt. Das bekannteste (und vielleicht auch kontroverseste) Beispiel dafür ist die Anhebung von Mindestlöhnen und dadurch eventuell entstehende Jobverluste.
In meiner Masterarbeit habe ich mich empirisch mit einem damit etwas verwandten Thema beschäftigt – Jobverluste in Folge von Innovation (Stichwort: Digitalisierung). Meiner Analyse zufolge führten Patentanmeldungen und das Wachstum neuer Firmen in den letzten zwanzig Jahren in den USA kurzfristig zu Jobverlusten. Diese Arbeitslosigkeit konnte aber spätestens in einem Zeitraum von fünf Jahren wieder aufgefangen beziehungsweise sogar in einen Netto-Jobgewinn umgedreht werden. Eine solche Makro-Perspektive klammert natürlich weitere wichtige Fragen aus, wie zum Beispiel: Finden jene Menschen, die ihren ursprünglichen Job verloren haben, eine neue Arbeit, die ihnen dieselben Möglichkeiten bietet und denselben Lebensstandard ermöglicht?
Es gibt noch genügend spannende, gesellschaftlich relevante Fragen, die mein Interesse an der VWL täglich bekräftigen. Mit einem Teil davon werde ich mich im kommenden Jahr als Forschungsassistent an der Universität Bern beschäftigen dürfen.“ – Lorenz Gschwent
Lorenz studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien.
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