Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen? Gar nicht wahr, meint Theresa Haller. Das Schweigen über LGBTIQ* wird leicht selbst zum Problem. Als Teil eines Kollektivs hat Theresa Haller die Vernetzungsgruppe u:queer ins Leben gerufen, um Tabus am Arbeitsplatz aufzubrechen und die Bedürfnisse von LGBTIQ* Menschen an der Universität Wien sichtbar zu machen.
Ich bin Physikerin, ich bin Lehrende – und ich bin lesbisch. „Kein Thema“ bekomme ich zur Antwort, wenn ich mich an meinem Arbeitsplatz oute. „Vor allem an der Uni spielt das doch gar keine Rolle, du musst dich also überhaupt nicht outen“, wird mir erklärt. „Kein Thema“ kann aber auch bedeuten, dass das Thema eben kein Thema ist – also nicht besprochen, nicht gesehen, nicht mitgedacht wird, und im schlimmsten Fall vielleicht auch gar kein Thema sein darf.
Vermeintlich ist das Thema sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität ein persönliches und hat daher am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Und heutzutage, wo gleichgeschlechtliche Paare heiraten und Menschen ihr Geschlecht ändern dürfen und ohnehin alle „viel toleranter sind, als noch vor zwanzig Jahren“, in so einer Zeit muss man über dieses Thema doch auch wirklich kein Aufheben mehr machen.
Aber ist das wirklich so? Eine Studie der Arbeiterkammer Wien über LGBTIQ* am Arbeitsplatz entlarvt diese Überlegung als reine Fiktion: Heterosexismus und Heteronormativität sind an vielen Arbeitsplätzen der Normalzustand. Das bedeutet nichts anderes, als dass es für Menschen, die in diese Norm fallen, ein leichtes ist, zwanglos vom Wochenende, den Kindern, dem oder der Partner*in oder von Familienfeiern zu erzählen. Indirekt geben sie also ununterbrochen Informationen über ihre (hetero)sexuelle Orientierung und ihre Geschlechtsidentität preis. Für Menschen, die nicht in diese Norm fallen, bedeutet ein harmloser Smalltalk in der Kaffeepause über dieselben Themen aber oft entweder ein Outing oder wird zum äußerst komplexen Spießrutenlauf, in dem gewisse Lebensbereiche ausgespart oder verdreht werden müssen.
In the Box – Schrödingers Outing
Die Entscheidung, wie offen über dieses Thema gesprochen wird, fällt oft nicht leicht: Nach wie vor verheimlicht österreichweit ungefähr jede*r fünfte LGBTIQ*- Angestellte die sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz. Spezifische Zahlen zu Universitäten und insbesondere der Uni Wien gibt es bislang nicht. Das Komplizierte an der ganzen Sache ist: Selbst, wenn das Umfeld dem Thema gegenüber positiv eingestellt wäre, so kann man dies vor dem Outing oft gar nicht wissen. Im Grunde befindet sich daher jede ungeoutete LGBTIQ* Person wie Schrödingers Katze in einer verschlossenen Box: Es mag sein, dass das Umfeld positiv auf das Outing reagieren würde, es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. Solange das Umfeld über das Thema nicht spricht, sind prinzipiell beide Möglichkeiten vorhanden, genau wie in Schrödingers Gedankenspiel, wo sich erst beim Öffnen der Box manifestiert, ob die Katze durch ein Quantenexperiment umkommt, oder nicht. Ob das Outing positiv aufgenommen wird, oder ob die Gesprächspartner*innen peinlich berührt sind, ob die Person schief angeschaut oder gar gemobbt wird, entscheidet sich letztendlich – wie bei der vielzitierten Katze – erst in dem Augenblick, in dem die Box geöffnet wird.
Das Problem, das „kein Problem“ ist
Die Reaktionen auf das Öffnen der Box können bisweilen recht skurril sein. Selbst in einem an sich toleranten Umfeld scheint es manchmal doch noch Aufklärungsbedarf zu geben.
Schwul und lesbisch – eh klar, kennt jeder: „Haben wir kein Problem damit. Musst auch nicht darüber reden.“ Bei genauerem Nachfragen aber tragen schwule Männer anscheinend immer Handtaschen, sind alle Einradfahrerinnen lesbisch und ist in gleichgeschlechtlichen Beziehungen immer eine*r „der Mann“ und eine*r „die Frau“.
Weniger präsent sind andere nicht-heterosexuelle Orientierungen wie z.B. Bi- oder Pansexualität. Und wenn es um Intersexualität, Transidentität oder nicht-binäre Geschlechtsidentitäten geht, ist die Informationslage oft eher bescheiden. Kein Wunder, die gesamte Thematik ist ja auch wirklich komplex. Das Spektrum von LGBTIQ* ist breit und vielfältig. Und so sind auch die Hürden, die LGBTIQ* Menschen erleben, ganz unterschiedlich. Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem biologischen Geschlecht nicht zusammenfällt oder die sich keinem von zwei Geschlechtern zuordnen können oder wollen, kämpfen teilweise mit anderen Problemen, als Menschen mit einer nicht-heterosexuellen Orientierung. Allen gemeinsam aber ist, dass das Schweigen über dieses Thema – weil es angeblich „kein Problem“ oder etwas Persönliches ist – schnell ein Teil des Problems wird. Tabus werden aufrechterhalten und die Beschäftigung mit den wirklichen Bedürfnissen von LGBTIQ* Menschen wird verhindert.
Was tun? u:queer!
Um die vielfältigen Hürden gemeinsam zu bewältigen, wurde im Juni 2019 die Vernetzungsgruppe u:queer gegründet. Gerichtet an alle Mitarbeiter*innen der Uni Wien – vom allgemeinen bis zum wissenschaftlichen Personal, vom Studienassistenten bis zur Professorin. Gemeinsam wollen wir LGBTIQ*-Themen sichtbar machen und – wo möglich – auch Role Models sein. Wir wollen die Universität Wien in ihrer gesetzlich vorgegebenen Aufgabe, Minderheiten vor Diskriminierung zu schützen, unterstützen und – wo nötig – Nachbesserungsbedarf aufzeigen.
📌 u:queer ist gemeinsam mit queer@hochschulen am Samstag auf der Regenbogenparade dabei!
Wann: 19.6.2021 um 13 Uhr
Wo: Beim Haupteingang der Uni Wien (Universitätsring 1). Falls ihr später kommt, einfach nach dem großen Regenbogen-Doktor*a-Hut Ausschau halten! 🎓🌈
Es gilt 1m-Abstand zwischen haushaltsfremden Personen und es wird empfohlen, eine FFP2-Maske zu tragen.
📌 u:queer, die Vernetzungsgruppe für LGBTIQ* Mitarbeiter*innen der Uni Wien, lädt zum Pride Picknick ein:
Wann: 22. Juni 2021, ab 17.00 Uhr
Wo: Bei Schönwetter im Augarten (auf der Wiese zwischen Restaurant Sperling und Flakturm) unter/bei der Regenbogenflagge, die dort dann als Erkennungszeichen aufgehängt sein sollte.
Bitte um Selbstversorgung mit Getränken, Essen und Picknickdecken (gerne aber so, dass wir alles geteilt werden kann)
Weitere Infos auf queer.univie.ac.at
📌 Vernetzung für Studierende: queer Referat
Vielen Dank für den Artikel. Ich bewundere Leute, die den Mut haben, sich zu outen. Schöne Grüsse aus Osnabrück