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Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Psychologische Auswirkungen und Hilfe bei Trauma von Brigitte Lueger-Schuster
am 22. Februar 2023
ungefähr 8 Minuten
Kategorien: People
Themen: Mentoring , Tipps und Tricks

Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Psychologische Auswirkungen und Hilfe bei Trauma

Traumatische Erfahrungen wie Kriege und andere Katastrophen verstärken das Risiko psychisch krank zu werden. Die Psychotraumatologin Brigitte Lueger-Schuster von der Uni Wien teilt Ergebnisse aus der Forschung sowie wirksame Übungen für einen stabilen Alltag am Uni Wien Blog.

Krieg bringt ein hohes Risiko mit sich eine psychische Störung zu entwickeln, wie etwa die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Angststörungen oder Depressionen. Die Ergebnisse des Mental Health Survey aus dem Jahr 2017 zeigen, dass die Erholung von der PTBS unter Kriegsbedingungen besonders lange dauert. Für die Ukrainer*innen sind langfristige psychische Probleme aufgrund des russischen Angriffskrieges zu erwarten, sowohl für jene, die in der Ukraine bleiben, als auch für jene, die die Ukraine verlassen.

Diejenigen, die ihre Heimat verlassen mussten, haben viel zurückgelassen: Familie, Wohnung, Freunde, Job, die vertraute Umgebung und die stabilen Gewohnheiten. All das haben sie eingetauscht gegen die drückende Ungewissheit, darüber, was mit der Familie und den Freunden geschieht, wie es ihnen geht. Weiters sorgen sie sich um die Zukunft des Landes, oder wie lange es die Ukraine noch geben wird und was nach Ende des Krieges kommt.

Ukrainer*innen, die geblieben sind, riskieren körperliche Schäden oder gar Todesgefahr. Angst, Hunger, Kälte, Gewalt, Sorge wie man durch den nächsten Tag kommt, Sorge um die noch Schwächeren, die Kinder, die Senior*innen, aber auch um die Zukunft, dominieren das Leben.

Soziale Verbundenheit als Puffer

Aus der Forschung wissen wir, dass Krieg sowohl für die Zivilbevölkerung als auch für die Soldaten langfristige psychische Konsequenzen haben. Vertriebene aus Ländern mit massiven Menschenrechtsverletzungen zeigen vermehrt psychische Erkrankungen, auch weil die erzwungene Trennung von Familie und Freunden das größte Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen darstellt. Dies gilt sowohl für die Vertriebenen/Geflüchteten als auch für die Menschen, die im Land blieben. Soziale Verbundenheit ist der Hauptpuffer gegenüber den Effekten massiven Stresses.

Traumatischer Stress und wie wir damit umgehen können

Massiver bzw. traumatischer Stress erzeugt zunächst eine Art von „Gefühlsgewitter“, bei dem, negative Gefühle und Gedanken immer wieder auftreten und die Alltagsbewältigung deutlich erschweren. Konzentration, soziale Verbundenheit, vernünftiges Denken – fast nichts geht mehr.  Das Leben wird von negativen Gefühlen und Gedanken dominiert.

Sie fühlen sich erschöpft und überanstrengt und manchmal glauben Sie „verrückt“ zu werden? Sie befürchten, dass Sie nicht mehr mit Familie und Freunden in Kontakt bleiben können, weil Sie so anders geworden sind?

Auf Basis der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation hier einige Übungen, die das Leben ein wenig leichter machen können:

Übung 1: Erdung

Beginnen Sie ruhig zu atmen, leeren Sie Ihre Lungen und atmen Sie dann ganz langsam wieder ein. Stehen Sie erst wieder auf, wenn Sie sich ruhiger fühlen. Jetzt beginnen Sie sich mit Ihrem Körper zu verbinden, d.h. spüren Sie in die einzelnen Gliedmaßen hinein. Dazu machen Sie bitte folgendes: Stehen Sie auf, pressen Sie die Füße auf den Boden, strecken Sie Ihre Arme langsam zur Seite oder pressen Sie Ihre Handflächen langsam aneinander und beginnen Sie mit dem Fokussieren. Was sehen Sie? Beachten Sie, wo Sie sich befinden, atmen Sie langsam ein und aus, was riechen Sie? Berühren Sie Ihre Knie oder eine Oberfläche, beachten Sie wie sich das anfühlt. Fühlen Sie sich ein wenig geerdet, etwas mehr mit Ihrem Körper und der Umwelt verbunden? Gut so, wenn nicht – einfach wiederholen.

Jetzt erleben Sie, dass es zwar immer schwierige Gedanken und heftige Gefühle gibt, aber dass es auch eine Welt gibt, die Sie wahrnehmen können, in der Sie präsent sind, auch wenn diese Welt nicht immer gut und schön ist, aber Sie leben darin. Diese Erdung (= Grounding) lässt Ihr Gefühlsgewitter nicht verschwinden, aber es hilft Ihnen sich etwas sicherer zu fühlen, bis das Gefühlsgewitter vorüber ist.

Gefühlsgewitter dauern unterschiedlich lange, je länger sie dauern, desto länger sollten Sie diese Übung machen. Sie hilft Ihnen dabei, z.B. für andere da und richtig präsent zu sein. Je mehr Sie das Grounding und Fokussieren üben, desto einfacher wird es für Sie. Es ist wie im Sport – je mehr Sie trainieren, desto besser wird Ihre Kondition.

Gedankenstürme bleiben – was tun?

Gedanken an zu Hause, an den Krieg, an die traumatischen Situationen, die Sie erlebt haben, kommen immer wieder, sie überfallen Sie quasi, und oft in sehr unpassenden Situationen. Dies ist bei Menschen in traumatischen Situationen leider normal, und auch sehr belastend.

Aus der Forschung wissen wir, dass wir dazu tendieren, maladaptive Strategien zu verwenden, um mit diesen Gedanken besser zurecht zu kommen. „Maladaptiv“ nennt man eine unpassende und die psychische Belastung verschlimmernde Strategie, die nicht hilfreich ist, um mit der schwierigen Situation besser zurecht zu kommen.

Maladaptive Strategien sind z.B. schreien, versuchen nicht daran zu denken, im Bett bleiben, sich selbst isolieren, Alkohol trinken, rauchen, Drogen nehmen, sich selbst die Schuld geben. Erkennen Sie einige dieser Verhaltensweisen wieder? Haben Sie gewirkt, oder kamen die Gedanken und Gefühle schnell zurück, wurden sie vielleicht noch schlimmer? Spüren Sie diese Gedanken und Gefühle auch in Ihrem Körper, wo?

Übung 2: Belastende Gedanken und Gefühle steuern

Wenn Sie diese negativen Gedanken und Gefühle überkommen, benennen und lokalisieren Sie diese im Stillen für sich selbst, also z.B. eine schmerzhafte Erinnerung, die im Gehirn sitzt, oder eine Enge in der Brust, die die Angst vor der Zukunft ist. Benennen Sie in Stille diese Gedanken und Gefühle und sagen Sie sich selbst immer dazu: „ich notiere“, das hilft dabei etwas innere Distanz zu diesen Gedanken und Gefühlen zu bekommen. Es geht also um Arbeit, die sie mittels Ihrer Gedanken ausüben. Das heißt nicht, dass Sie sich die Welt oder den Krieg, positiv denken, sondern es bedeutet, dass die Gedanken und Gefühle weniger mächtig sind.

In einem zweiten Schritt fokussieren Sie wieder auf das Hier und Jetzt, so wie Sie es schon geübt haben. Wenn Sie z. B. im Gespräch mit einem Studienkollegen oder während des Lernens ein solcher Gedanke überkommt, so Sie sprechen weiter mit den Studienkolleg*innen, konzentrieren Sie sich weiter auf die Seminararbeit oder lernen weiter Ihre Vokabeln, aber machen Sie sich bewusst, wo Sie sind und was Sie tun, benennen Sie Ihren Gedanken und lokalisieren Sie ihn (z.B. „oh, das ist Heimweh, ich spüre es im Herzen“) und machen Sie weiter. Ja, ein schlechter Gedanke, ein schlimmes Gefühl hat sie erwischt, aber Sie haben es benannt und dazu im Stillen gesagt: „ich notiere, dass die Erinnerung an meine Flucht in meinem Kopf ist oder das Heimweh in meinem Herzen“, und trotzdem können Sie nun weiter machen.

Anfangs mag diese Übung schwierig für Sie sein, ja Sie kann Ihnen sogar komisch vorkommen, aber je öfter Sie sie ausführen, desto einfacher und normaler wird es, denn belastenden Gedanken und Gefühlen zu entkommen, ja sie sogar zu steuern. Sie erlernen mit dieser Übung wieder Kontrolle über Ihre Gefühle und Gedanken und somit über Ihr Leben zu erlangen. Sie bleiben somit konzentriert, präsent und fokussiert.

Sich Hilfe holen ist ein Zeichen von Stärke

Ihr Leben wird mit dem Praktizieren dieser Übungen wahrscheinlich etwas leichter, weil Sie mehr mit Ihrem sozialen Umfeld verbunden bleiben können und eher in der Lage sein werden, Ihren täglichen Anforderungen und Aufgaben nachzukommen. Helfen Ihnen diese Übungen trotz mehrfachen Praktizierens nicht, wenden Sie sich bitte an eine der angegebenen Institutionen. Krieg und Flucht sind einschneidende traumatische Ereignisse, die sehr stark auf die Psyche wirken. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht.

Weiterführende Links:


Quellen

Doing what matters in times of stress: an illustrated guide. Geneva: World Health Organization; 2020. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO.

Koenen KC, Ratanatharathorn A, Ng L, et al. Posttraumatic stress disorder in the World Mental Health Surveys. Psychol Med. 2017; 47: 2260-2274

Lindert J, von Ehrenstein OS, Wehrwein A, Brähler E, Schäfer I. [Anxiety, Depression and Posttraumatic Stress Disorder in Refugees – A Systematic Review]. Psychother Psychosom Med Psychol. 2018 Jan; 68(1):22-29.

Morina N, Stam K, Pollet TV, Priebe S. Prevalence of depression and posttraumatic stress disorder in adult civilian survivors of war who stay in war-afflicted regions. A systematic review and meta-analysis of epidemiological studies. J Affect Disord. 2018; 239: 328-338


Brigitte Lueger-Schuster

Professorin für Psychotraumatologie am Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie der Universität Wien


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