Hallo liebe Leser*innen, ich bin der Genderstern,
beziehungsweise, ich bin beim Genderstern mitgemeint, genauso wie ihr und alle anderen Menschen. Der Genderstern ist eine von mehreren sprachlichen Lösungen, um nicht nur Frauen und Männer, sondern auch Inter* und nicht-binäre Personen sichtbar zu machen (eine Erklärung zu Inter* und nicht-binär gibt es im grauen Kasten unten).
Das englische Wort des Jahres 2019 war das geschlechtsneutrale Pronomen “they”. Es hat sich im Englischen mittlerweile als geschlechtsneutrale Form der dritten Person Singular eingebürgert, da nicht-binäre Geschlechteridentitäten in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden haben. Im Deutschen gibt es bislang noch keinen gängigen Ersatz für „er oder sie“, weshalb derzeit viele Organisationen verschiedene Lösungen erproben. Eine solche Lösung ist die Leitlinie zur geschlechterinklusiven Sprache der Uni Wien.
Warum geschlechterinklusiv sprechen?
Die Leitlinie zur geschlechterinklusiven Sprache an der Uni Wien ist zum Teil als Reaktion auf das Erkenntnis G77/2018 vom 15.6.2018 des Verfassungsgerichtshofes entstanden, die besagt, dass Inter* Menschen das Recht haben, falls gewünscht, den Geschlechtseintrag „X“ zu führen, um nicht als Mann oder Frau festgelegt zu werden. Diese Erkenntnis betrifft derzeit nur Inter* Menschen und setzt medizinische Gutachten voraus, es gibt allerdings Klagen, die ersuchen, dass in der Interpretation auch nicht-binäre Menschen miteingeschlossen werden.
Dazu, wie viele Menschen sich als nicht-binär identifizieren, gibt es derzeit noch keine Statistik. Aus Statistiken über Intergeschlechtlichkeit geht hervor, dass bis zu 1,7% der Bevölkerung Inter* sind. Die Universität Wien hat ca. 10 000 Angestellte und fast 100 000 Studierende, es müsste also ca. 170 Inter* Angestellte und ca. 1700 Inter* Studierende geben. Würden wir die (statistisch noch nicht erfassten) nicht-binären dazu zählen, hätte die Uni Wien noch mehr potentiell betroffene Angehörige. Unsere Sprache dahingehend anzupassen ist ein Zeichen von Respekt an alle Mitarbeiter*innen und Student*innen der Universität.
Ein paar Punkte zum Genderstern
Nun aber zurück zum Thema Genderstern, bei dem es einige Missverständnisse und Unklarheiten gibt, die ich hier ansprechen möchte.
Das erste Gerücht: Der Genderstern ist Pflicht. Das stimmt nicht, die Universität Wien hat eine Leitlinie herausgegeben, diese sagt explizit: “Durch einen bewussten Gebrauch unserer Sprache tragen wir aktiv zur Gleichstellung aller Geschlechter und zu einer wertschätzenden Ansprache aller bei.” Wer das Dokument selbst begutachten möchte, findet es hier. Es ist allen Angestellten überlassen, wie sie sich ausdrücken und welche Lösungen sie wählen, es wird aber von der Universität erbeten, dass alle Kommunikation der Verwaltung geschlechterinklusiv sein soll.
Auch stimmt es nicht, dass die geschlechterinklusive Sprache eine abgehobene Akademiker*innenaktion an der Uni Wien ist: Die geschlechterinklusive Sprache kommt zu weiten Teilen aus dem queer-feministischen Aktivismus, der durch Betroffene getragen wird. Aber selbst wenn die geschlechterinklusive Sprache nur eine akademische Aktion wäre:
Wo, wenn nicht an Universitäten, wo sich junge Menschen treffen, um zu lernen und zu diskutieren, sollten neue Ideen in der Sprache ausprobiert werden? Sprache lebt und ändert sich. Wir benutzen ständig Wörter, die es erst seit wenigen Jahren gibt. Wir „googeln“, was denn der „Influencer“ gestern wieder bei „Insta“ angestellt hat. Solange eine Sprache benutzt wird, wird sie sich auch verändern. Und das ist gut so.
Respektvoller Umgang miteinander
Allgemein ist die Frage doch: Wie können wir miteinander auf eine Art und Weise sprechen, die uns alle anspricht? Das fängt mit Kleinigkeiten an, z.B. wenn man als einziger Mensch nicht dem ,Mehrheitsgeschlecht‘ entspricht und die Professor*innen eine*n dann einfach ‚mitmeinen‘ – wenn ich nämlich nur mitgemeint bin, dann bin ich unsichtbar.
Also, warum nicht? Verlieren wir etwas, wenn wir demnächst einen Text mit Genderstern anstelle von Binnen-I schreiben? Oder Kolleg*innen mit „Liebe*r Vorname Nachname“ anschreiben? Oder, meine Lieblingslösung, einfach „Guten Tag Vorname Nachname“ schreiben? Ich denke nicht, aber die Kolleg*innen, denen es etwas bedeutet, gewinnen dadurch. Natürlich bedarf es ein wenig Übung, bis die Texte mit Genderstern genauso flüssig laufen wie vorher, aber das ist ja nicht so schlimm.
Und ganz ehrlich: niemand ist böse wenn wir es hin und wieder vergessen. Was zählt ist das wir es versuchen.
Liebe Grüße, Lisa Glaser
Was ist Inter*, was ist non-binary:
Intergeschlechtlich sind Menschen, die mit einem Körper geboren wurden, der nicht der normativen Definition von männlich oder weiblich entspricht. Dies kann durch chromosomale, anatomische und/oder hormonelle Faktoren entstehen. Inter* Personen können sowohl eine männliche, weibliche, wie auch nicht-binäre Geschlechteridentität haben. Für mehr Informationen über Intergeschlechtlichkeit, ist die Webseite des Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich eine gute Anlaufstelle.
Nicht-binär sind Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen. Während die Bezeichnung nicht-binär (vom englischen non-binary) noch relativ neu ist, gibt es schon lange und in vielen Kulturen Menschen, die sich nicht in einem der beiden Mehrheitsgeschlechter zuordnen. Eine schöne Karte, die viele dieser traditionellen Geschlechteridentitäten aufzeigt, gibt es hier
Viele nicht-binäre Menschen verstehen sich auch als trans*, wobei dies nicht impliziert, dass alle trans* Menschen nicht-binär sind. Die meisten trans* Menschen verstehen sich als Männer oder als Frauen.
Für mehr Information über nicht-binäre Geschlechteridentitäten ist die website nonbinary.ch ein guter erster Anlaufpunkt.