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von Sophia Dessl
am 8. Februar 2019

Warum ich fortfuhr, fortzufahren

Erasmus, Sprachassistenz und Praktikum: Alumna Sophia Dessl hat alles ausprobiert. Ein persönliches Fazit aus vier Auslandsaufenthalten in fünf Jahren.

Eigentlich hab’ ich mich ja nie so als Globetrotter-Typ gesehen (und „Globe“ wäre auch jetzt noch maßlos übertrieben). Klar findet man Erasmus cool, auch ich hatte es immer im Hinterkopf, aber wirklich beworben hab’ ich mich dann ganz spontan im letzten Bachelorsemester. Wenn ich, als die E-Mail mit den Restplätzen kam, nicht gerade voller Fernweh in London gewesen wäre, wär’ ich vermutlich nie ins Ausland gegangen.

Babushkas in Litauen

Und weil mit Fernweh oft auch Neugier einhergeht, hab’ ich aus diesen noch einigen Restplätzen einfach mal das gewählt, was mir am wenigsten gesagt hat: Kaunas. Where the hell? Labas, Lietuva! Das war’s fast schon wieder mit meinem Litauisch, aber an Abenteuerlust hab‘ ich von dort einiges mitgenommen.

Und als ich dann ein gutes Jahr danach einen italienischen Erasmus-Freund in Turin besucht hab’, war ich von ebendieser Stadt auf Anhieb so eingenommen, dass ich auch dorthin auf Erasmus gegangen bin. Mehr oder weniger stante pede – denn genau dort gab es wieder Restplätze, die ich ja nur auf Verdacht, noch mit dem Nachgeschmack hausgemachter Frittata im Mund, recherchiert hab’ (inzwischen im Master auf der Germanistik). Und da war es wieder, dieses Kribbeln; mehr brauchte es nicht, also hieß es drei Monate später ciao bella Italia!

Torneró. I’ll be back

Sophia in Turin

In Turin war es wunderschön und ich wusste gleich, wie auch beim ersten Besuch: Die verbrachte Zeit reicht nicht, ich komm wieder. Bevor ich aber zurückgekommen bin, hab’ ich noch, weil mein Master so tolle Deutsch-als-Fremdsprache-Praktika anbietet, ein Semester in Tallinn verbracht. Dort hab’ ich erste Lehrerfahrung an der Uni gesammelt, während ich persönlich eher ein Tief hatte und der Stadt kaum die Möglichkeit bot, mich für sich zu gewinnen. Dagegen musste ich ankämpfen und Wind und Wetter trotzen (im wahrsten Sinne des Wortes)!

Dass ich das nicht so ganz schaffen wollte, hab‘ ich erst gegen Ende bereut; kam aber mit der Erkenntnis zurück, dass es nicht die Rastlosigkeit ist, die mich nach Turin zieht, sondern wirklich Turin selbst. Seit Oktober bin ich als Sprachassistentin nun wieder hier, an einem Gymnasium nahe Turin, wo ich heute lebe.

Ich war also ein Drittel der letzten fünf Jahre „unterwegs“, hab’ an vier verschiedenen Orten gelebt, und das aufgeteilt. Demnach war die Zeit in meinem nicht minder geliebten Wien oft geprägt von entweder Vorbereitungen oder Resozialisierung. Not cool. Das ging mir schon länger auf die Nerven, weil ich die Zeit dazwischen oft nicht richtig nutzen konnte. Auch, weil ich schon so auf Turin fixiert war und mich irgendwie zerrissen gefühlt hab’. Nichtsdestotrotz würde ich natürlich keinen meiner Auslandsaufenthalte gegen irgendetwas oder -woanders tauschen.

Veni, vidi, vici?

Denn dort hab’ ich Lasagne mit italienischen Mammas gekocht. Ich hab’ angefangen, täglich Kaffee zu trinken (aber in Espresso ist eh viel weniger Koffein). Ich hab’ Zweckfreundschaften geschlossen, beendet und stattdessen die echten erkannt und verfolgt. Ich war fast am Mittelpunkt der EU, aber dann doch nicht, weil wir spät dran waren und der Fahrer schon voll grantig. Ich hab’ eine neue Sprache gelernt und es mit einer anderen versucht (Aš esu austrijoje. Das war’s jetzt). Ich hab’ voll herzliche engagierte junge Menschen kennengelernt, in einem Land, dem man nicht nur meteorologische Kälte nachsagt. Ich hab’ gelernt, wie wenig wir eigentlich über so Nahes wissen.

Turin in Italien

Ich hab’ geschmeckt, dass Italien so viel mehr ist als Pizza und Pasta (aber schon auch, ge). Ich weiß Klobrillen jetzt sehr viel mehr zu schätzen und habe gelernt, wofür ein Bidet gut ist, außer, um sich als Kind die Füße zu waschen (um sich als Erwachsener die Füße zu waschen). Ich hab‘ aus der Entfernung verstanden, dass ich das, was ich studiert hab‘, eigentlich doch nicht machen will.

Weil ich mir selbst jetzt sehr viel näher bin, und so hab’ ich auch erkannt, dass ich in Wien leben will, das ja auch nicht meine ursprüngliche Heimat ist. In das ich mich aber ganz neu verliebt hab’. Doch zuerst hab’ ich mir gedacht: Echt jetzt? Geb’ ich jetzt auf, hab’ ich nach all der Zeit doch plötzlich sowas wie Heimweh? Leb’ ich jetzt diesen für mich immer komischen Spruch „Daheim ist es immer noch am schönsten“?

Nein. Ich weiß jetzt, wo ich leben will, was ich dort machen will, und ich weiß vor allem (oder glaube zu wissen), dass ich mir dessen sicher sein kann. Diese ständige Unsicherheit – Wo will ich denn nun sesshaft werden? Ist die Zeit da/dort nicht vielleicht Zeitverschwendung? Und vor allem: Werd ich es mein Leben lang bereuen, mich für da/dort entschieden zu haben? – ist weg. Dabei hab’ ich letztens noch gesagt „Man hört immer, wie sehr Auslandserfahrungen einen verändern, aber ich merk’ das irgendwie gar nicht“. Jetzt schon.

Und die Moral von der Geschicht

  • Erstens will ich jenen, die noch nicht weg sind, weil sie noch einen Stupser brauchen, diesen hiermit anbieten.
  • Zweitens will ich denen, die kurz vor oder am Anfang ihres ersten Auslandsaufenthaltes stehen, sagen: Es dauert vielleicht ein bisschen. Es ist mitunter nicht leicht, sofort los zu starten. Diese Erkenntnis zur Beruhigung ist Schritt eins – Schritt zwei: Mach überall mit. Geh zu allen Events, die angeboten werden. Zwing dich, rauszugehen. Auch, damit du später entscheiden kannst, was die Mühe wert und was nur immer der gleiche Blödsinn ist. damit du dann stattdessen was Cooleres machen kannst – mit den Leuten, die du am Anfang dort überall kennengelernt hast.
  • Drittens, für all jene, die vielleicht auch keine Frischlinge mehr sind: Ich find’s OK, auch mal alles zu verteufeln. Das ganze Land für deinen schlechten Tag verantwortlich zu machen – solange man sich der Ironie bewusst ist und morgen, oder übermorgen, genauso erkennt, dass exakt dieser Ort maßgeblich zu einer super Zeit beiträgt.

Und schließlich, und das gilt für alle: Lebe im JETZT. Dieses wenig überraschende Fazit deshalb, weil man es nicht oft genug sagen kann, zumindest ich hab’ es nämlich bis heute noch nicht wirklich umgesetzt, das schon ewig Geplante wirklich HEUTE zu machen. Weil’s mich morgen vielleicht schon wieder ganz woanders hinzieht. Obwohl ich schon nach meinem ersten Erasmusaufenthalt gedacht hab’, diese 0815-Phrase nun auch endlich wahrhaftig verinnerlicht zu haben. Ha-ha.

Worauf wartest du noch? :) Die Bewerbungsphase für 2019/20 läuft noch bis 15. März 2019. Alle Informationen dazu findest du unter diesem Link.


Sophia Dessl

Sophia Dessl hat einen Bachelor in Sprachwissenschaft und einen Master in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Auf ganz persönliche Weise teilt sie hier ihre Auslandserfahrungen.


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