Fühlt ihr euch europäisch? Und welche Themen sind euch in Europa wichtig? Vielleicht habt ihr unsere Mitmach-Wall dieses Semester gesehen: An verschiedenen Standorten der Uni Wien haben wir um eure Meinung zu Europa gefragt. Die Ergebnisse der Umfrage kommentiert Historiker Wolfgang Schmale von der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Ermutigende Ergebnisse: Wir fühlen uns (großteils) europäisch
Die Ergebnisse der Mitmach-Wall zur Semesterfrage „Was eint Europa?“ sind ermutigend: Die große Mehrheit der teilnehmenden Studierenden und Angehörigen der Universität Wien fühlen sich als EuropäerIn – die vier zur Auswahl gestellten Themen (Anm.: Kulturelle Vielfalt, Demokratie, überall studieren und arbeiten können, in Sicherheit leben) erweisen sich als annähernd gleich wichtig. „Kulturelle Vielfalt“ und „überall studieren und arbeiten können“ haben etwas mehr Punkte als die beiden anderen Themen eingesammelt. Das liegt vielleicht daran, dass diese beiden Themen im Uni-Alltag sehr präsent sind. Die Universitätsangehörigen kommen aus vielen verschiedenen Ländern, interkulturelle Begegnung gehört dazu – genauso wie die internationale Mobilität im Studium und im späteren Beruf nach Abschluss der akademischen Ausbildung.
Da eine Mitmach-Wall keine repräsentativen Ergebnisse liefern kann und auch gar nicht soll, sondern spontane Reaktionen einsammelt, kann den kleinen quantitativen Unterschieden kein großes Gewicht beigemessen werden. Außerdem steht die Bedeutung der Schlagworte nicht objektiv fest, sondern unterliegt subjektiven Einschätzungen.
Ein Vergleich mit den Umfragen aus dem Eurobarometer läge zwar nahe, lässt sich aber nicht ohne weiteres durchführen. Das Eurobarometer geht nach statistisch-repräsentativen Methoden vor und die Fragestellungen sind anders aufgebaut. Außerdem bezieht es sich dezidiert auf die EU und nicht allgemein auf Europa wie bei unserer Mitmach-Wall. Im jüngsten Standard-Eurobarometer wird zum Beispiel konkret nach „Hauptsorgen“ der BürgerInnen gefragt. Unsere Aspekte sind dabei nicht oder nicht direkt berücksichtigt. Die Sorge „Terrorismus“ enthält natürlich den Aspekt der Sicherheit, diese wird aber nicht wörtlich angesprochen. Vergleichbar ist aber, dass 83 Prozent der EU-BürgerInnen „die Freizügigkeit der EU-Bürger, … überall in der EU leben, arbeiten, studieren und Geschäfte machen (zu) können“ befürwortet. Anders als bei uns wird konkreter gefragt, ob man sich als „EU-Bürger“ fühle. Das bejahen 71%. Das ist allerdings nicht unbedingt dasselbe wie sich als EuropäerIn zu fühlen. Menschen aus der Ukraine können sich beispielsweise europäisch fühlen – aber nicht als EU-Bürger.
Sicherheit & Demokratie: Themen, die Unis sichtbar(er) machen können
„Sicherheit“ ist jedenfalls nach Maßgabe der Mitmach-Wall nicht das ganz große Thema. Das scheint aber auch bei „Demokratie“ der Fall zu sein. Nun lautete der erste Teil des Satzes, der durch das Kleben eines Punktes im entsprechenden Feld zu ergänzen war, „Ich schätze an Europa…“. Die Antworten könnten folglich bedeuten, dass weder Demokratie noch Sicherheit in Europa so gut gewährleistet sind, dass man spontan sagen würde, ‚ich schätze …‘.
Stärken sollte man weiter stärken – das ist ein Auftrag an die Universität Wien. Mit Schwächen sollte man sich auseinandersetzen. Obwohl die etwas geringere Menge der Punkte bei „Demokratie“ und „Sicherheit“ nicht eindeutig auf Schwächen hinweist, kann die Universität natürlich viel zu beiden Aspekten beitragen. Indem sie beispielsweise ihre Forschungserträge zu Demokratie sowie Sicherheit gut sichtbar macht und dabei auf Kontinuität achtet.
Universitäten als Orte der Vielfalt
Im Gegenzug ist die Aussage, „Ja, ich fühle mich als EuropäerIn“ eindeutig. Offenkundig ist das aktuelle Europa insgesamt so, dass es positive Gefühle hervorruft. Ob eher an die Europäische Union oder allgemein an Europa gedacht wurde, ist offen.
Diese positive Aussage lässt sich gut mit der positiven Einschätzung kultureller Vielfalt verbinden. Die bewusste Pflege und Förderung dieser Vielfalt in Europa durch die EU und durch den Europarat könnte ein Grund dafür sein. 2018 war Europäisches Kulturerbejahr, das die Vielfalt der Kultur und der Aktivitäten zur Pflege des kulturellen Erbes in den Mittelpunkt gestellt hat. Der Europarat fördert insbesondere auch den Jugendaustausch.
Zugleich ist diese Vielfalt nicht nur im Zuge von Mobilität in Europa konkret erfahrbar, sondern sie gehört zum Alltag vieler Menschen. Freilich sind Universitäten Orte, an denen Vielfalt besonders gewünscht und gefördert wird und wo diese recht unmittelbar erfahren werden kann. Vielfalt und Mobilität hängen außerdem immer eng zusammen. Dass beide Aspekte ausgesprochen positiv gesehen werden, ergibt Sinn und bestätigt sich in dem nicht-repräsentativen Ergebnis.
Warum das „gefühlte Europa“ im Vordergrund stehen sollte
Die Frage, wer sich als EuropäerIn fühlt oder nicht, wird oft ausdrücklich oder stillschweigend im Zusammenhang von „europäischer Identität“ gesehen. Identitäten sind vielschichtig und einzelne Zuspitzungen auf „Nation“ oder „Europa“ entsprechen kaum der Lebenswirklichkeit von Menschen. Die Zuspitzungen zielen eher auf den Ausschluss vielschichtiger Identitäten, da an diesen zum Beispiel einfältiger Populismus abprallen muss.
Gefühle sind ein guter Ansatz: Wenn es gelingt, Europa so einzurichten, dass man/frau spontan sagt, „Ich fühle mich als EuropäerIn“, dann ist das Wichtigste erreicht. Es muss aber immer wieder erreicht werden. Was kann die Uni Wien dazu beitragen? Auf eine „Semesterfrage“ folgt die nächste, aber die vorhergehende sollte dann nicht vergessen werden, sondern auf nachhaltige Weise weitergeführt werden.
Hier lest ihr noch mehr von Wolfgang Schmale:
- „Mein Europa“: Europa-Blog von Wolfgang Schmale
- „Was eint Europa? Die Vielfalt!“ – Wolfgang Schmales Beitrag zur Semesterfrage auf derstandard.at