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Mehr Arbeit dank der Digitalisierung? von Dominik Klaus
am 27. Mai 2019
ungefähr 7 Minuten
Kategorien: Forschung
Themen: Arbeit , Digitalisierung , Forschende , Forschung , Semesterfrage

Mehr Arbeit dank der Digitalisierung?

Mehr Arbeit dank der Digitalisierung?

Arbeit ist heute in einigen Branchen stets nur einen Klick entfernt. Mit dem Smartphone können wir von unterwegs arbeiten, Mails beantworten und an Präsentationen arbeiten. Doch wie soll diese „freiwillige Techniknutzung“ bezahlt und reguliert werden? Dominik Klaus forscht am Institut für Soziologie zur Entgrenzung von Erwerbsarbeit und wirft im Beitrag einen Blick auf die Arbeitsbedingungen im Zeitalter der Digitalisierung.

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf alle Lebensbereiche ist häufig Thema in aktuellen Debatten, so auch bei der Frage nach der Zukunft der Arbeit. In der Regel führen Diskussionen über die Auswirkungen der technischen Entwicklung in der Arbeitswelt schnell zu den düsteren Prognosen der inzwischen berühmten Studie des Beratungsunternehmens McKinsey, wonach viele Jobs von heute automatisiert werden könnten. Menschliche Arbeit soll demnach durch Roboterarbeit ersetzt werden.

Es geht nicht nur um den Mangel von Arbeitsplätzen, sondern auch um Qualität von Arbeit.

Angesichts des immer noch zentralen Stellenwerts von Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft erscheint dieses Szenario natürlich bedrohlich. Dabei geht es in erster Linie um den Verlust von Arbeitsplätzen im Sinne von Einkommenschancen und Beschäftigungsmöglichkeiten. Für andere liegt der Schrecken dieser Entwicklung in der Vorstellung, in Zukunft von Robotern gepflegt zu werden – sie sehen diese Entwicklung aus Sicht von LeistungsempfängerInnen, denen ein anderes Betreuungsangebot zur Verfügung stehen wird als vorherigen Generationen.

Wenig Beachtung in der Diskussion finden die Arbeitsbedingungen derjenigen, die derzeit noch in diesen Jobs tätig sind. Die Frage nach der Qualität der Arbeit bleibt aus. Immer wieder wird sie zurückgedrängt angesichts des Mangels an Arbeitsplätzen, angesichts der Erzählung, dass man und frau froh sein muss, überhaupt eine bezahlte Arbeit zu haben. Diejenigen aber, die in Beschäftigung sind, sollen dankbar und fleißig sein, sich verausgaben und nicht anfangen, auf Arbeitszeitregelungen herumzureiten. Das gilt vor allem für jene, die gute und interessante Jobs haben, bei denen sie sich selbst verwirklichen können und obendrein auch was dabei lernen können. Das betrifft etwa hoch qualifizierte Wissensarbeit oder Kreativberufe.

Damals: Computer zum Abschalten

Doch auch in diesen Bereichen hat die Digitalisierung zu Veränderungen geführt, die neben der Roboterhysterie oft aus dem Blick geraten. Technische Entwicklungen ermöglichen nicht nur ein grundsätzliches Ersetzen menschlicher Arbeit durch Maschinen, sondern erweitern auch die Möglichkeiten der Arbeitsorganisation. Wann und wo gearbeitet wird ist genauso flexibler geworden wie die Frage, an wen welche Arbeiten ausgelagert werden können.

Dabei ist die Entwicklung keine neue. Schon in den 1990er Jahren war durch die Verbreitung von Personal Computern und dem Internet die Möglichkeit der Teleheimarbeit geschaffen worden. Die damals noch riesigen Geräte standen oft in einem eigenen Raum, das ähnlich einem Büro als Arbeitsort genutzt wurde. Wollte man tätig werden, so musste man zunächst mal den Computer hochfahren, was durchaus einige Minuten beanspruchte. Danach wurde gearbeitet, irgendwann war dann auch mal Feierabend, der Computer wurde abgeschalten und man war bis auf weiteres nicht mehr erreichbar, sondern offline. Seit damals hat sich einiges geändert.

Heute: Always on mit dem Smartphone

Stets ist sie einen Klick entfernt, die Arbeit.

Anstatt sperriger Standrechner arbeiten die meisten von uns mit handlichen Laptops, die überall hin mitgenommen werden können – sogar ins Bett! Für das Durchackern von Emails ist der Laptop aber gar nicht mehr notwendig, das können wir inzwischen auch am Smartphone. Dieses kleine Ding ist bei den meisten von uns immer eingeschaltet und mit dem Internet verbunden, wir sind always on, tragen es tagsüber am Körper und legen es nachts neben das Bett. Es ist unser Wecker, unser Terminkalender, unser Kommunikationskanal zu Freunden und Familie, und eben auch zur Arbeit.

Stets ist sie nur einen Klick entfernt, die Arbeit. Mit dem Smartphone können wir nun auch von unterwegs arbeiten, Mails beantworten, Berichte lesen und an Präsentationen arbeiten. Warum auch nicht? Warum nicht auch die Zeit in der U-Bahn produktiv nutzen? Warum nicht auch in der Mittagspause mal kurz die Mails checken? Warum nicht schon Sonntagabend die Termine für nächste Woche durchgehen? Und wenn abends im Bett noch schnell eine gute Idee für die Präsentation nächste Woche aufblitzt, gleich aufschreiben! Wir alle tun das mehr oder weniger unbewusst, die Arbeit macht ja Spaß und Leerzeiten muss man nutzen. Warum also die Aufregung?

Freiwillige Techniknutzung?

Diese „freiwillige Techniknutzung“ außerhalb der Arbeitszeit wird im Blickfeld von Phänomenen wie der Entgrenzung zwischen Privatleben und Arbeit eher kritisch betrachtet. Ein entsprechender Umgang mit technischen Herausforderungen, der ständigen Erreichbarkeit, das aktive Abschalten, dem Schaffen von Erholungs(zeit)räumen und die Vereinbarkeit mit Verpflichtungen abseits der Erwerbsarbeit stellen hohe Anforderungen an die Angestellten. Diese sind oft auch mit negativen gesundheitlichen Folgen verbunden.

Die Versprechungen von der besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben durch flexiblere Arbeitsgestaltung scheinen sich nicht erfüllt zu haben. Wie die Eurofound-Studie „Working anytime, anywhere“ aufzeigt, hat die Gruppe der besonders mobil und flexibel Arbeitenden die höchste Stressbelastung und berichtet am häufigsten von negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Angesichts dessen wirkt die Bezeichnung „freiwillig“ beinahe zynisch. In erster Linie bedeutet sie hier allerdings, dass das Lesen von Mails außerhalb der Arbeitszeit nicht weisungsgebunden ist – und damit auch rechtlich nicht reguliert werden kann. Daneben heißt es aber auch, dass dafür keine Bezahlung oder sonstige Entlohnung in Form von Zeitausgleich zu erwarten ist. Doch würde das überhaupt ins Gewicht fallen?

Eine Studie des IZA München hat in Zusammenarbeit mit dem Karrierenetzwerk XING eine Erhebung zum Umfang dieser Arbeitstätigkeiten während der Freizeit in Deutschland gemacht. Bei den NutzerInnen von XING, die größtenteils in hochqualifizierten Dienstleistungsjobs arbeiten, lag die durchschnittliche Zeit hierfür bei fünf Stunden pro Woche. Das ist nicht wenig, wenn wir etwa an die Verhandlungen von Arbeitszeitverkürzungen denken. Würden diese fünf Stunden als Arbeitszeit anerkannt werden, kämen wir den oft angestrebten Arbeitszeitverkürzungen zumindest in diesen Branchen schon sehr nahe.

Fortführung des Kampfes der Ausverhandlung von Arbeit

StudienteilnehmerInnen arbeiten wöchentlich rund fünf Stunden in der Freizeit.

Diese Entwicklungen sind natürlich nichts Neues, sondern nur die Fortführung eines alten Kampfes der Ausverhandlung von Arbeit. Neben den institutionalisierten Lohnverhandlungen gab es immer schon auch Auseinandersetzungen darüber, was nun eigentlich alles Teil der Erwerbsarbeit ist. Also welche Unterstützungsleistungen Unternehmen ihren MitarbeiterInnen zur Verfügung stellen müssen und welche Verantwortung sie im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen tragen.

Gesetzliche Grundlagen regeln die Sorgfaltspflicht in traditionellen Arbeitsarrangements. Bei der „freiwilligen Techniknutzung“ greifen diese Absicherungen aber nicht, das home office kann nicht inspiziert und auf mögliche Gesundheitsgefährdung hin geprüft werden. Ohne dem vollständigen Aufzeichnen der Arbeitszeiten können auch keine Ruhezeiten eingehalten werden.

Das alles wird in den Verantwortungsbereich der Arbeitenden geschoben. Damit werden allerdings auch (Zeit-)Aufwendungen vom bezahlten in den unbezahlten Bereich verschoben. Wenn die Ratschläge an die ArbeitnehmerInnen nun lauten, sich selbst eben ein bisschen besser zu managen, um den Herausforderungen flexibler Arbeitsarrangements zu begegnen, dann scheint das die Entwicklung hin zur selbstverantwortlichen Einpersonenunternehmerin eher fortzuschreiben als kritisch zu reflektieren. Als Gesellschaft wie auch als Individuum sollten wir uns grundsätzlich Gedanken darüber machen, wie wir die Digitalisierung und deren Chancen möglichst so nutzen können, dass uns dadurch nicht mehr Stress und unbezahlte Arbeit entstehen.

📌 Dominiks Beitrag ist im Rahmen der aktuellen Semesterfrage zum Thema „Wie werden wir morgen arbeiten?“ entstanden. Mehr Beiträge von WissenschafterInnen zum Thema Arbeit lest ihr in uni:view.

 

 

Mehr zum Projekt „ICT-enabled boundaryless work“ lest ihr auch auf unserer Societal Impact-Plattform.


Dominik Klaus

Dominik Klaus forscht und lehrt am Institut für Soziologie. Seit Oktober 2017 arbeitet er in einem interdisziplinären Team aus Psychologie und Soziologie an einem Forschungsprojekt zur „IT-gestützten Entgrenzung von Erwerbsarbeit“, welches von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) finanziert wird. Sein Arbeitsschwerpunkt sind die Wechselwirkungen der Entgrenzung mit Prozessen der Identitätsarbeit und Subjektivierung.
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